Dahrendorf,
Ralf Gustav, Soziologe und Politiker, * Hamburg 1. 5. 1929; Professor in Hamburg (1958-60), Tübingen (1960-66) und Konstanz (1966-88); 1947-60 Mitglied der SPD, 1967-88 der FDP; 1968-74 Mitglied des FDP-Bundesvorstandes; 1982-87 Vorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung. 1969/70 war Dahrendorf Mitglied des Bundestags und parlamentarischer Staatssekretär im Auswärtigen Amt, 1970-74 EG-Kommissar (1970-72 zuständig für die Außenbeziehungen der EG, 1972-74 für Bildungs-, Forschungs- und Wissenschaftsfragen). 1974 übernahm er die Leitung der »London School of Economics« (bis 1984), im Januar 1988 das Rektorat des Saint Anthony's College in Oxford. Seither lebt Dahrendorf in England und wurde 1993 als »Baron (Life Peer) Dahrendorf of Clare Market in the City of Westminster« Mitglied des britischen Oberhauses.
In Anlehnung an seine Marx-Studien sowie in kritischer Auseinandersetzung mit der Gesellschaftswissenschaft in den USA, v. a. mit dem theoretischen Ansatz T. Parsons, entwickelte Dahrendorf eine eigenständige Theorie des sozialen Konflikts und des sozialen Wandels. Für Dahrendorf sind Konflikte der Normalfall des sozialen Lebens, die allerdings nur unter bestimmten Bedingungen manifest (offenbar) werden. Konflikte sind dabei »alle strukturell erzeugten Gegensatzbeziehungen von Normen und Erwartungen, Institutionen und Gruppen«. Seit Anfang der 90er-Jahre hat sich Dahrendorf v. a. den Entwicklungen in Osteuropa, der Zukunft der Arbeitsgesellschaft und erneut den Fragen sozialer Konflikte und politischer Partizipationschancen zugewendet. Mit seinem Konzept eines »neuen Liberalismus«, der offenen, von freien Bürgern verantworteten Gesellschaft, die autoritäre (staatliche) Beeinflussung ablehnt, den Wert der sozialen Bindungen zwischen den Bürgern betont und sich in gleicher Weise zu ihren sozialen Grund- und persönlichen Freiheitsrechten bekennt, ist Dahrendorf zu einem der wichtigsten Vertreter der liberalen Gesellschafts- und Staatsidee in der Gegenwart geworden.
Werke: Marx in Perspektive (1953); Soziale Klassen und Klassenkonflikt in der industriellen Gesellschaft (1957); Homo sociologicus (1958); Das Mitbestimmungsproblem in der deutschen Sozialforschung (1963); Die angewandte Aufklärung (1963); Bildung ist Bürgerrecht (1965); Gesellschaft und Demokratie in Deutschland (1965); Pfade aus Utopia (1967); Für eine Erneuerung der Demokratie in der Bundesrepublik (1968); Konflikt und Freiheit. Auf dem Wege zur Dienstleistungsgesellschaft (1972); Plädoyer für die Europäische Union (1973); Die neue Freiheit (1975); Lebenschancen (1979); Die Chancen der Krise (1983); Reisen nach innen und außen (1984, autobiographisch); Fragmente eines neuen Liberalismus (1987); The modern social conflict (1988; deutsch erweitert unter dem Titel Der moderne soziale Konflikt); Betrachtungen über die Revolution in Europa in einem Brief, der an einen Herrn in Warschau gerichtet ist (1990); Liberale und andere. Portraits (1994).
Universal-Lexikon. 2012.