Ve|rịs|mus 〈[ ve-] m.; -; unz.〉 Strömung in Literatur, bildender Kunst, Malerei u. Schauspiel, die die Wirklichkeit krass naturalistisch u. unreflektiert darstellt [nlat.; zu lat. verus „wahr, wirklich, echt, wahrhaftig“]
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1. Verismo.
2. schonungslose u. sozialkritische künstlerische Darstellung der Wirklichkeit.
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Verịsmus
1) bildende Kunst: Begriff des 20. Jahrhunderts für eine krass realistische, schonungslose und grelle Darstellungsweise. Der Begriff wird seit den 20er-Jahren auf Werke und Künstler aus dem Umkreis der Neuen Sachlichkeit, zuerst auf G. Grosz, angewendet und bald erweitert auf weitere von der Dada-Bewegung kommende Maler wie O. Dix, O. Griebel, R. Schlichter. Im Verismus dieser Künstler gewinnt die sozial- und gesellschaftskritischen Komponente eine zentrale Funktion, und das Bloßstellen von sozialen, gesellschaftlichen und politischen Missständen wird oft zu ihrem eigentlichen Anliegen. In diesem Zusammenhang werden traditionell als eher darstellungsunwürdig angesehene Sujets (Kriegskrüppel, Bettler, Prostituierte, proletarische Elendsgestalten ebenso wie parasitäre Figuren) ohne Beschönigung und oft mit aggressiver und sarkastischer Bitterkeit Bildthema. Der deutsche Verismus hatte Parallelen in den realistischen Tendenzen der italienischen Kunst (R. Guttuso u. a.) und wirkte v. a. in der Dresdner Schule um H. Grundig, B. Kretzschmar (* 1889, ✝ 1972) u. a., auch im Berliner »kritischen Realismus« um P. Sorge u. a. nach. - Veristische Komponenten zeigen auch andere realistisch orientierte Künstler und ganze Phasen der Kunstgeschichte; z. B. wird der Begriff auf eine Stilrichtung der spätrepublikanischen Porträtkunst Roms angewendet.
2) Literatur: Verịsmo, literarische Strömung in Italien, die in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts unter dem Einfluss des Positivismus und besonders des französischen Naturalismus entstand und bemüht war, durch schonungslose und auf wissenschaftlichen Erkenntnissen fußende Darstellung der Wirklichkeit v. a. die sozialen Probleme der Zeit zu erfassen. Der italienische Verismus entwickelte, im Gegensatz zur französischen Schule, stärkere regionalistische Tendenzen: G. Verga, der als Hauptrepräsentant gilt, und L. Capuana fanden ihre Themen im sizilianischen Milieu, Matilde Serao im neapolitanischen Volksleben, Grazia Deledda in ihrer sardinischen Heimat. Die biologisch-medizinische Determiniertheit der Charaktere wird nur noch von Capuana vertreten. - Der literarische Neorealismus der 1940er- und 50er-Jahre in Italien setzte das soziale Engagement des Verismus fort und beeinflusste v. a. die zeitgenössische italienische Filmproduktion.
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
Verga und der Verismus: Wahrheit statt Schönheit
Verismus und Neue Sachlichkeit: »Weder rein sinnenhaft äußerlich noch rein konstruktiv innerlich«
3) Musik: Verịsmo, ein ab 1890 in Italien aufgekommener Opernstil, der sich an das naturalistische Drama anlehnte und der romantischen Oper mit ihren historischen, idealisierten und mythischen Gestaltungen (R. Wagner) eine zeitnahe, sozialkritische und menschlich-leidenschaftliche Bühnendramatik entgegenstellen wollte. Die ersten veristischen Opern sind »Cavalleria rusticana« (1890) von P. Mascagni nach dem Schauspiel von G. Verga und »Der Bajazzo« (1892) von R. Leoncavallo; danach ist der Verismus besonders durch F. Cilèa, U. Giordano, F. Alfano, mit manchen Szenen auch durch G. Puccini, in Deutschland durch E. d'Albert, L. Blech und E. Wolf-Ferrari, in Frankreich durch G. Charpentier vertreten. Problematisch am Verismus ist die Tatsache, dass der Bühnengesang der Oper niemals wirklich realistisch ist. Hinzu kommt eine Tendenz veristischer Komponisten zu vereinfachender, oberflächlicher Zeichnung leidenschaftlicher Charaktere, die allerdings oft prägnante, mitreißende musikalische Wirkungen hervorbringt.
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Universal-Lexikon. 2012.