Zweireichelehre,
auf M. Luther (u. a. seine Rezeption der mittelalterlichen Zweigewaltenlehre) zurückgehendes Denkmodell der lutherischen Theologie zur Erklärung der Art und Weise der Regierung Gottes in Kirche und Welt. Nach der Zweireichelehre verkörpern diese unterschiedliche Felder (»Reiche«) des heilsgeschichtlichen Handelns Gottes und werden von Gott in unterschiedlicher Weise regiert. In der Kirche, dem Reich Gottes zur Rechten, regiert Jesus Christus durch die Mittel des geistlichen Regiments (Wort, Sakrament, Vergebung). In der Welt, dem Reich Gottes zur Linken, regiert die staatliche Obrigkeit (der Kaiser) durch Gesetz, Zwang und Strafe, darin das weltliche Regiment Gottes verkörpernd. Nach Luther ist jeder Christ Gerechter und Sünder zugleich (simul iustus et peccator), gehört daher beiden Reichen an und steht somit unter dem doppelten Anspruch, als Mensch (d. h. dem weltlichen Reich zugehörig) Gesetz und Gewalt anzuerkennen und anzuwenden und als Christ (d. h. dem geistlichen Reich zugehörig) auf Gewalt und die unbedingte Inanspruchnahme weltlichen Rechts zu verzichten. Von Luther mit der Absicht der Befreiung der Kirche von weltlichen Rücksichtnahmen und des Staates von kirchlichen Vormachtansprüchen formuliert, bildet die Zweireichelehre die Grundlage der theologischen und v. a. der politischen Ethik der lutherischen Theologie und hat in der Reformationszeit wesentlich zur Herausbildung eigenständiger frühabsolutistischer Territorialstaaten beigetragen. Die Vorstellung, dass die staatliche Obrigkeit von Gott zur Ausübung des weltlichen Regiments eingesetzt ist, barg allerdings auch stets die Gefahr unkritischer Obrigkeitshörigkeit in sich und hat zeitweilig in Teilen des Luthertums zu einem apolitischen Verständnis christlicher Existenz geführt. Theologische Einwände gegen die Zweireichelehre wurden besonders von reformierter Seite vorgetragen; in der Zeit des Kirchenkampfs v. a. von K. Barth. In der heutigen lutherischen Theologie nimmt die Zweireichelehre weithin eine periphere Stellung ein. (Staat und Kirche)
H. Bornkamm: Luthers Lehre von den zwei Reichen im Zusammenhang seiner Theologie (21960);
R. Ohlig: Die Zwei-Reiche-Lehre Luthers in der Auslegung der dt. luther. Theologie der Gegenwart seit 1945 (Bern 1974);
H.-J. Gänssler: Evangelium u. weltl. Schwert. Hintergrund, Entstehungsgesch. u. Anlaß von Luthers Scheidung zweier Reiche oder Regimente (1983);
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Zwei|re|gi|mẹn|te|leh|re, Zwei|rei|che|leh|re, die <o. Pl.> (Theol.): auf Luther zurückgehende, an die Zweigewaltenlehre anschließende Lehre, wonach Gott die Welt auf zweierlei Weise - im geistlichen Reich durch sein geistliches Regiment, im weltlichen Reich durch sein weltliches Regiment - regiert.
Universal-Lexikon. 2012.