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Turksprachen
Turksprachen,
 
tụ̈rkische Sprachen, die Sprachen der Turkvölker. Sie werden den altaischen Sprachen zugerechnet, obwohl ihre Urverwandtschaft umstritten ist und die Gemeinsamkeiten zum Teil auf Sprachkontakteinflüsse zurückgeführt werden.
 
Die Turksprachen gliedern sich in folgende Gruppen: 1) Südwestgruppe (Ogusisch): Osmanisch/Türkeitürkisch (türkische Sprache), Aserbaidschanisch, Khorasantürkisch, Turkmenisch u. a.; 2) Südostgruppe (Uigurisch): Usbekisch und osttürkische Vorläufersprachen, Neuuigurisch u. a.; 3) Nordwestgruppe (Kiptschakisch): Tatarisch, Baschkirisch, Krimtatarisch, Kasachisch, Karakalpakisch, Kirgisisch, Nogaisch, Kumückisch, Karaimisch, Karatschaisch-Balkarisch; das Kumanische kann als ein Vorläufer gelten; 4) Nordostgruppe: südsibirische Turksprachen (Altaitürkisch, Chakassisch, Tuwinisch u. a.), nordsibirische Turksprachen (Jakutisch, Dolganisch); 5) Tschuwaschisch (im Wolgagebiet), vom Gemeintürkischen stark abweichend; Vorläufer ist Wolgabulgarisch (Protobulgaren); 6) Chaladschisch (Mittelpersien), mit stark archaischen Zügen.
 
Die Schriftsprachen lassen sich grob periodisieren: 1) Ältere Periode (»Alttürkisch«): a) Alttürkisch im engeren Sinn (ältere Bezeichnung »Köktürkisch«) oder »Runentürkisch«, besonders die türkische Sprache der Orchoninschriften; runenartige Inschriften und Handschriften, 8.-11. Jahrhundert; b) (Alt-)Uigurisch; Handschriften in verschiedenen Alphabeten, 11.-12. Jahrhundert; c) Karachanidisch; islamische Spracheinflüsse, vorwiegend arabische Schrift, 11.-12. Jahrhundert 2) Mittlere Periode (»Mitteltürkisch«): Charismtürkisch, Wolgabulgarisch, Altkiptschakisch, Altosmanisch, Frühdschagataisch; ab 13. Jahrhundert, bei regional verschiedener Periodisierung. 3) Neuere Periode (Übergangsformen): Mittel- und Spätosmanisch, Spätdschagataisch, Wolga-Türki u. a.; ab 16. Jahrhundert 4) Moderne Periode (jüngste Sprachformen): Türkeitürkisch, Aserbaidschanisch, Gagausisch, Turkmenisch, Tatarisch, Baschkirisch, Krimtatarisch, Kumückisch, Nogaisch, Tschuwaschisch, Usbekisch, Kasachisch, Karakalpakisch, Kirgisisch, Neuuigurisch, Altaitürkisch, Chakassisch, Tuwinisch, Jakutisch.
 
Charakteristisch für den Sprachbau der Turksprachen sind reiche Erweiterungsmöglichkeiten der Stammwörter durch Suffixe, Regelmäßigkeit in der Formenlehre, Lautharmonie, u. a. Vokalharmonie (in den Einzelsprachen unterschiedlich wirkend), Stellung des Prädikatskerns am Satzende, vorangestellte Komplemente und Attribute (auch als ganze Satzgefüge). Im Wortschatz finden sich bereits in den alten Sprachstufen Lehnwörter aus Nachbarsprachen: zunächst indoiranischer und chinesischer, seit dem 10. Jahrhundert arabischer und persischer, seit dem 13. Jahrhundert auch mongolischer Herkunft. In der Neuzeit gewinnt europäisches Wortgut an Bedeutung. Bei den Schriftsprachen innerhalb der ehemaligen Sowjetunion ist der Einfluss des Russischen zum Teil erheblich. In einer Reihe ehemaliger Sowjetrepubliken mit Turksprachen wurden Anfang der 1990er-Jahre eine Reform der auf der kyrillischen Schrift basierenden Graphie und der Übergang zur Lateinschrift diskutiert beziehungsweise eingeleitet.
 
Literatur:
 
W. Radloff: Versuch eines Wb. der Türk-Dialecte, 4 Bde. (St. Petersburg 1893-1911, Nachdr. Den Haag 1960, Reg.-Bd.: Index der dt. Bedeutungen, 1972);
 J. Benzing: Einf. in das Studium der altaischen Philologie u. der Turkologie (1953);
 
Philologiae Turcicae Fundamenta, hg. v. J. Deny u. a., Bd. 1 (1959);
 M. Räsänen: Versuch eines etymolog. Wb. der T., 2 Bde. (Helsinki 1969-71);
 G. Clauson: An etymological dictionary of pre-thirteenth-century Turkish (Oxford 1972);
 H. W. Brands: Studien zum Wortbestand der T. (Leiden 1973);
 G. Hazai u. B. Kellner-Heinkele: Bibliograph. Hb. der Turkologie. Eine Bibliogr. der Bibliogr. vom 18. Jh. bis 1979, Bd. 1 (Budapest 1986);
 L. Johanson: Linguist. Beitrr. zur Gesamtturkologie (Budapest 1991);
 A. Róna-Tas: An introduction to turkology (Szeged 1991);
 L. Johanson: Strukturelle Faktoren in türk. Sprachkontakten (1992);
 
Sprach- u. Kulturkontakte der türk. Völker, hg. v. J. P. Laut u. K. Röhrborn (1993);
 
Laut- u. Wortgesch. der Türksprachen, hg. v. B. Kellner-Heinkele u. M. Stachowski (1995).

Universal-Lexikon. 2012.