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Hallsteindoktrin
I
Hallsteindoktrin
 
Schon kurz nach ihrer Gründung erhob die Bundesrepublik Deutschland den Anspruch, die allein legitimierte Vertreterin der deutschen Interessen zu sein und für alle Deutschen in Ost und West zu sprechen (Alleinvertretungsanspruch). Begründet wurde dieser Anspruch damit, dass im westlichen Teil Deutschlands eine Regierung im Amt sei, die aus freien Wahlen hervorgegangen war, während in der DDR eine Parteidiktatur herrsche. Die Sowjetunion und die übrigen Ostblockstaaten und die DDR selber hatten die Zweistaatentheorie entwickelt. Diese besagte, dass auf dem Gebiet des ehemaligen Deutschen Reichs zwei souveräne deutsche Staaten entstanden seien.
 
Die Bundesregierung suchte mit allen Mitteln zu verhindern, dass weitere Staaten mit der DDR diplomatische Beziehungen aufnahmen und damit die DDR als Staat anerkannten.
 
Bei dem Besuch Bundeskanzler Adenauers in Moskau im September 1955 war die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik und damit der Austausch von Botschaftern vereinbart worden. Die Sowjetunion aber hatte bereits 1954 diplomatische Beziehungen zur DDR aufgenommen.
 
Begründet wurde die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur Sowjetunion zum einen damit, dass diese eine der vier Besatzungsmächte war, und zum anderen hoffte man, die Freilassung der noch in sowjetischen Lagern befindlichen deutschen Kriegsgefangenen zu erreichen. Bereits bei der Rückreise nach Bonn überlegte die deutsche Delegation, wie der befürchteten Flut diplomatischer Anerkennungen der DDR wirksam begegnet werden könnte. Der Leiter der Politischen Abteilung des Auswärtigen Amtes, Wilhelm Grewe, stellte dabei einen Problemkatalog auf, aus dem Grewe und Adenauers außenpolitischer Berater Walter Hallstein die »Hallsteindoktrin« entwickelten. In der Regierungserklärung vom 23. September 1955 war dieser Grundsatz der deutschen Außenpolitik dann formuliert. Die Bundesrepublik Deutschland werde - aufgrund ihres demokratisch legitimierten Alleinvertretungsanspruchs für das gesamte deutsche Volk - mit keinem Staat diplomatische Beziehungen aufnehmen oder unterhalten, der seinerseits in diplomatischen Beziehungen mit der DDR stehe oder solche eingehe.
 
Gestützt auf das wirtschaftliche Potenzial und die Entwicklungshilfeleistungen der Bundesrepublik, erwies sich die Hallsteindoktrin als effektives Mittel, die diplomatische Anerkennung der DDR durch nichtkommunistische Staaten zu verhindern. Sie führte zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit Jugoslawien 1957 und Kuba 1963, verhinderte aber auf lange Sicht auch eine flexiblere deutsche Außenpolitik. Fragwürdig wurde die Doktrin vollends, als die Bundesrepublik 1967 diplomatische Beziehungen zu Rumänien und 1969 wieder zu Jugoslawien aufnahm. Nach der Bildung der sozialliberalen Koalition wandelte sich die bundesdeutsche Ostpolitik grundlegend. Mit dem Deutsch-Sowjetischen Vertrag 1970 und vor allem dem Grundlagenvertrag mit der DDR 1972 wurde die Hallsteindoktrin endgültig gegenstandslos.
II
Hạllsteindoktrin,
 
nach W. Hallstein benannter, in der Regierungserklärung vom 29. 9. 1955 verkündeter Grundsatz der Deutschlandspolitik (Alleinvertretungsanspruch), drückte - gestützt auf das GG - den Anspruch der Bundesrepublik aus, ganz Deutschland völkerrechtlich allein zu vertreten. Ausgangspunkt war die seit 1954 von der UdSSR propagierte und um 1955 von der DDR übernommene Zweistaatentheorie (deutsche Einheit). Ziel der Hallsteindoktrin war die völkerrechtliche Isolierung der DDR (Verhinderung ihrer Anerkennung außerhalb des Ostblocks). Die Bundesregierung durfte deshalb keine völkerrechtlichen Beziehungen zu Staaten aufnehmen oder aufrechterhalten, die die DDR diplomatisch anerkannten (Ausnahme UdSSR). So brach die Bundesregierung 1957 die diplomatischen Beziehungen zu Jugoslawien, 1963 zu Kuba ab. Da die Hallsteindoktrin auch den außenpolitischen Handlungsrahmen der Bundesrepublik einengte (Modifizierung unter der Regierung der »großen Koalition« 1966-69), gab die Regierung unter W. Brandt mit ihrer neuen Deutschland- und Ostpolitik Ende 1969 die Hallsteindoktrin auf.
 
Literatur:
 
R. M. Booz: Hallsteinzeit. Dt. Außenpolitik 1955-72 (1995).

Universal-Lexikon. 2012.