Chromosomenaberrationen,
die zahlenmäßige Abweichung vom normalen diploiden Chromosomensatz der Körperzellen oder dem haploiden der Keimzellen (Gameten), auch numerische Chromosomenaberrationen genannt, im Unterschied zu den strukturellen Chromosomenaberrationen (Chromosomenanomalien). Eine Chromosomenaberration kann schon bei der Befruchtung zustandekommen, wenn in einer der beiden Keimzellen bereits eine Chromosomenaberration vorliegt, oder sie kann in der frühen Embryonalzeit entstehen. In beiden Fällen ist die Ursache ein Verteilungsfehler bei einer Zellteilung, wenn bei der Mitose die Spalthälften der Chromosomen (Chromatiden) oder bei der Reifeteilung (Meiose) der Keimzellen die homologen Chromosomen nicht exakt auf die Tochterzellen verteilt werden. Im Gegensatz zu Pflanzen, wo eine Verdoppelung oder Verdreifachung des Chromosomensatzes (Polyploidie) oft Vorteile bringt, (bei manchen Kulturpflanzen z. B. erhöhte Anpassungsfähigkeit), ist bei höheren Tieren und beim Menschen schon das Fehlen oder die Überzähligkeit auch nur eines Chromosoms in den allermeisten Fällen für die Zelle tödlich. Eine erhebliche Zahl von embryonalen Entwicklungsstörungen und meist frühen, spontanen Fehlgeburten ist darauf zurückzuführen. Lebensfähig, aber oft mit erheblichen Einschränkungen, sind Menschen mit Chromosomenaberrationen nur in wenigen Fällen, am ehesten noch mit einer abweichenden Zahl der Geschlechtschromosomen. Wenn ein Chromosom fehlt, spricht man von Monosomie, bei einem zusätzlichen Chromosom von Trisomie. Die Zahl der Chromosomenaberrationen, die bei der Keimzellenreifung entstehen, nimmt mit dem Älterwerden bei Mann und Frau deutlich zu (35 bis 40 Jahre 1 bis 3 %, 41 bis 43 Jahre 3 bis >5 %, älter als 43 Jahre bis 9 % und mehr), sodass das Risiko für eine Fehlgeburt oder ein behindertes Kind vor allem bei einer Mutter ab etwa 35 Jahren deutlich und stetig zunimmt. Dass das Alter des Vaters nicht im selben Maße eine Rolle spielt, liegt wohl an der riesigen Überzahl der »gesunden« Spermien.
Siehe auch: Down-Syndrom, Klinefelter-Syndrom, Triplo-X-Syndrom, Ullrich-Turner-Syndrom.
II
Chromosomen|aberrationen
[k-], Chromosomenmutationen, Veränderungen in der Struktur der Chromosomen durch Verlust, Austausch oder Verdoppelung eines Chromosomen- oder nur eines Chromatidenstückes (Chromatidenaberration). Bei Neugeborenen beruht etwa die Hälfte aller auftretenden Chromosomenanomalien darauf. Mit Ausnahme des Verlustes von Chromosomenendstücken sind Chromosomenaberrationen in der Regel Folge eines Crossing-over an nicht homologen Stellen (illegitimes Crossing-over) innerhalb eines Chromosoms (intrachromosomale Chromosomenaberration) oder zwischen zwei homologen oder auch nicht homologen Chromosomen (interchromosomale Chromosomenaberration). Die intrachromosomale Chromosomenaberration zeigt sich entweder im Verlust eines Mittelstücks (Deletion), im Austausch der beiden Enden (Inversion) oder in der Bildung von Ringchromosomen. Z. B. beruht das Katzenschreisyndrom auf einer relativ häufig vorkommenden Deletion am Chromosom 5. Illegitimes Crossing-over zwischen zwei homologen Chromosomen kann durch Austausch unterschiedlich langer Endstücke auf dem einen Chromosom zur Deletion, auf dem anderen zur Duplikation eines mittleren Abschnitts führen. Beim illegitimen Crossing-over zwischen zwei nicht homologen Chromosomen ist ebenfalls ein Austausch von Endstücken die Folge (Translokation), der, wenn er wechselseitig erfolgt (reziproke Translokation), zu einer balancierten Chromosomenaberration führen kann: Da kein Chromosomenmaterial verloren geht und der Chromosomensatz normal bleibt, erscheint der Träger klinisch gesund. Bei der Keimzellbildung kann es jedoch zur Bildung von Keimzellen mit zu wenig oder zu viel Chromosomenmaterial kommen. Die Befruchtung einer solchen Keimzelle führt dann zu einer unbalancierten Chromosomenaberration; der Träger ist klinisch auffällig, wenn nicht schon vorher eine Fehlgeburt eintritt. Ein Sondertyp der Translokation ist die Robertson-Translokation (beim Menschen), die zur Verschmelzung zweier Chromosomen mit akrozentrischem Zentromer führt. Zwar ist der Träger klinisch unauffällig, jedoch enthält in der Folge ein Teil der gebildeten Keimzellen dieses Chromosom doppelt oder gar nicht. Dies kann Grundlage familiären Auftretens von Trisomien, Monosomien und gehäuften Fehlgeburten sein. Ein häufig vorkommender Fall einer Robertson-Translokation ist die Fusion eines Chromosoms 21 mit einem Chromosom 22 oder einem Chromosom der Gruppe D, was zu einer vererbbaren Form des Mongolismus führt.
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
Erbkrankheiten: Die genetischen Ursachen
Universal-Lexikon. 2012.