Bluegrass
[amerikanisch, 'bluːgrɑːs], Ende der Dreißiger-, Anfang der Vierzigerjahre in den USA von dem Sänger und Mandolinisten Bill Monroe (1911-1996) entwickelte Spiel- und Interpretationsweise euroamerikanischer Volksmusik hauptsächlich aus dem traditionsreichen Gebiet des Appalachen-Gebirges (Countrymusic). Im Wesentlichen handelte es sich dabei um Tanzlieder, Balladen und Tänze eigentlich schottischen, irischen und englischen Ursprungs, die Monroe mit einem stark synkopierten Rhythmus afroamerikanischer Prägung versah und im virtuosen Gegeneinanderspiel von Mandoline, Fiddle (Violine) und Banjo spannungsreich und voller Dynamik zeitgemäß zu interpretieren wusste. Die Gitarre lieferte die Akkordbegleitung dazu, während der Bass den Rhythmus unterstützte. Der zum Teil auch mehrstimmig entfaltete Gesang wies die typische Eigenart der Lieder aus den Appalachen auf — das hohe, nasale Vokalisieren. Später verschoben sich dann die Proportionen im Repertoire der Bands zugunsten von Eigenkompositionen. Charakteristisch wurde ein Besetzungsmodell von vier bis sieben Sängern, die sich mit akustischen Saiteninstrumenten selbst begleiten; in der Regel Gitarre und/oder Bass als Rhythmusinstrumente, Fiddle, Banjo, Mandoline, zweite Gitarre oder Steelguitar als Melodieinstrumente. Zwischen den Strophen folgen wie im Jazz alternierende Instrumentalsoli. Gespielt wird im Double-Time-Metrum mit deutlich akzentuiertem Afterbeat und ausgeprägter Offbeat-Spielweise (offbeat/onbeat).
Auch die Bezeichnung Bluegrass geht auf Bill Monroe zurück, der seine 1939 zusammengestellte Gruppe in Anlehnung an seine Heimat Bluegrass State in Kentucky Bill Monroe and his Blue Grass Boys nannte. Mit dieser Formation hatte er noch 1939 bei einem Auftritt in der Grand Ole Opry seinen ersten großen Erfolg. Während der Vierzigerjahre vervollkommnete er mit seinen Blue Grass Boys diese Spielweise zu jener charakteristischen Verbindung von Lockerheit und Perfektion, die zum Kennzeichen des Bluegrass geworden ist. Neben Monroe war es vor allem sein ehemaliger Banjo-Spieler Earl Scruggs (* 1924) mit den von ihm 1948 gegründeten Foggy Mountain Boys, der sich ebenso wie Monroes einstiger Gitarrist Lester Flatt (1914-1979) — bis 1969 bei Scruggs' Mountain Boys aktiv — zu einem originären Repräsentanten des Bluegrass entwickelte. Erst Anfang der Sechzigerjahre setzte sich diese Musik eine Zeit lang als eine der beliebtesten Musikrichtungen in den USA durch. Ihr ausgeprägter Konservatismus, der oft auch den Songtexten ein monströses Gepräge aus uramerikanischen Wertvorstellungen und bodenständigem Traditionsbewusstsein gab, verhinderte einen raschen kommerziellen Verschleiß. Besonders unter der studentischen Jugend der USA fand sie in dieser Zeit eine aktive Anhängerschaft, die entgegen den konservativen Ambitionen der Klassiker dieser Spielweise den Bluegrass zu einer der experimentierfreudigsten Musikrichtung im Country-and-Western-Bereich (Country and Western) werden ließ. So wurden mit Autoharp, Steelguitar und Dobro neue Instrumente in das angestammte Instrumentarium des Bluegrass zu integrieren versucht, wobei sich allerdings nur das Letztere wirklich durchzusetzen vermochte und inzwischen seinen Platz im Bluegrass gefunden hat. Eine nach der Gruppe New Grass Revival als Newgrass bezeichnete Richtung bemühte sich Anfang der Sechzigerjahre nicht ohne Erfolg um eine Synthese dieser Musik mit dem Rock 'n' Roll. Außerhalb der USA hat Bluegrass allerdings kaum eine nennenswerte Rolle gespielt. Dafür war diese Spielweise und das Repertoire der Bands zu tief in der Tradition und der Kultur des weißen Amerika verwurzelt. In den USA dagegen blieb Bluegrass auch in seiner ursprünglichen Form lebendig. Als Progressive Bluegrass wird eine in den Siebzigerjahren aufgekommene Popvariante dieser Musik bezeichnet. Mit überregionalem Erfolg haben sich in der Nachfolge Bill Monroes vor allem die Stanley Brothers, die Osborne Brothers, die Johnson Mountain Boys und Ricky Skaggs (* 1954) behaupten können.
Universal-Lexikon. 2012.