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Blassynthesizer
Blassynthesizer
 
[englisch Wind Synthesizer], Synthesizer, der über eine spezielle, an ein Blasinstrument erinnernde Spielvorrichtung angesteuert wird. Blassynthesizer ermöglichen die Verbindung elektronischer Klangsynthese mit der typischen Spielweise auf einem Blasinstrument. Sie sind deshalb besonders zur Imitation verschiedener Holz- und Blechblasinstrumente geeignet, können aber darüber hinausgehende, eigenständige Klangfarben realisieren. Die einzelnen Modelle differieren vor allem in der technischen Gestaltung der von der elektronischen Klangerzeugungseinheit getrennten Spiel- bzw. Steuervorrichtung. Elektronische Blasinstrumente gab es bereits vor der allgemeinen Verbreitung des Synthesizers. Bei der Electra-Melodica von Hohner (Trossingen, 1967) nutzte man eine verkleinerte klavierähnliche Tastatur, die mit einem Mundstück versehen war. Der Anblasdruck wirkte auf einen pneumatischen Lautstärkeschweller.
 
1975 wurde das von William A. Bernardi und Roger R. Noble entwickelte Lyricon (produziert von Computone Inc., Hanover/USA) bekannt. Das Instrument ähnelt im Aussehen und in der Spielweise einem Sopransaxophon, erzeugt jedoch selbst keine Töne, sondern gibt ausschließlich Steuerspannungen an einen dazugehörigen Synthesizer ab. Die Veränderung der Tonhöhe (Steuerung des VCO) erfolgt über ein Klappensystem (vereinfachte Boehm-Mechanik), das mit elektrischen Kontakten versehen ist. An dem saxophonähnlichen Mundstück befinden sich Sensoren bzw. Wandler für den Anblasdruck (Wind Transducer, Steuerung des VCA und des VCF) und für den Lippendruck (Reed Transducer, Steuerung des Modulationsgenerators, Glissando-Effekte). Das seit 1978 produzierte, technisch vereinfachte Lyricon II wurde gelegentlich von Rock- oder Jazzmusikern verwendet, z. B. von Wayne Shorter (* 1933), dem Saxophonisten der Gruppe Weather Report und von Andrew Mackay (* 1946) auf Paul McCartneys Solo-LP »Tug of War« (1982).
 
Ende der Sechzigerjahre konstruierte der amerikanische Trompeter Nyle A. Steiner (* 1945) einen Blassynthesizer, dem die Spieltechnik einer Trompete zugrunde gelegt war. Bekannt wurde dieses Instrument unter der Bezeichnung »Electronic Valve Instrument« oder auch als »Steiner-Trompete« (1975 bis 1980 produziert von Steiner-Parker, Salt Lake City/USA; seit 1980 von Music Technology, der amerikanischen Zweigstelle der italienischen Firma Crumar, Garden City Park/USA). Sensoren im Mundstück ermöglichen die Umwandlung von Blasdruck und Artikulation in Steuerspannungen. Durch Schalter an der Spielvorrichtung und variable Einstellungen am Synthesizer lassen sich verschiedene Klangfarben und Effekte erzeugen. Die Steiner-Trompete kam in mehreren Filmmusiken (u. a. »Apocalypse Now«, 1979; Musik: Carmine u. Francis Ford Coppola) zum Einsatz. Zwei Trompeter des Sun Ra Arkestra haben dieses Instrument ebenfalls gelegentlich verwendet.
 
1978 entwickelten Jürgen Schmitz und Helmut Reuter das Variophon (seit 1979 produziert von Realton, Euskirchen). Dieser Blassynthesizer wird mithilfe einer speziellen, über ein blockflötenähnliches Mundstück anzublasenden Tastatur gesteuert. Ein besonderes Klangerzeugungsverfahren ermöglicht die naturgetreue Nachahmung traditioneller Blasinstrumente. Auf der Grundlage einer dem Original nachgebildeten Rechteckschwingung (Schwingung) mit einer bestimmten Formantstruktur (Formant) kann der Spieler durch Variierung der Blasintensität Klangfarbe und Lautstärke dynamisch gestalten. Die Grundklangfarben sind durch Module schnell austauschbar. Mit der Einführung des MIDI-Standards (MIDI) 1983 haben sich auch weitere Entwicklungsmöglichkeiten für Blassynthesizer eröffnet. Beispielsweise produzierte die japanische Firma Akai, Tokio, zwei MIDI-Controller (EVI 1000, EWI 1000) auf der Basis der Steiner-Trompete und ein dazugehöriges Soundmodul (EMW 2000), die u. a. von dem Trompeter Joo Kraus (* 1946) im Duo Tab Two genutzt wird. Prominentes Beispiel: Michael Brecket (* 1949).

Universal-Lexikon. 2012.