Siebung,
1) Elektrotechnik: allgemein das Aussondern unerwünschter Frequenzanteile aus einem Frequenzgemisch, im engeren Sinn das Unterdrücken der einer Gleichspannung überlagerten Wechselspannungsanteile (Glättung). Als Siebglieder (Siebschaltung) werden LC-Glieder oder RC-Glieder benutzt, auch in Verbindung mit Verstärkern.
2) Begriff aus der älteren Sozialanthropologie, der 1924 von R. Thurnwald eingeführt wurde. Siebung bezeichnet dort in Abgrenzung zu dem in der Biologie und v. a. im Sozialdarwinismus benutzten Begriff der Selektion einen kulturell und sozial bestimmten Ausleseprozess, in dessen Verlauf in einer bestimmten Gesellschaft durch kulturelle Muster und Unterscheidungskriterien Menschen mit entsprechend zugeschriebenen Eigenschaften gegenüber anderen bevorzugt werden. Der Vorgang führt demnach auch zu einer Sortierung von Individuen mit ähnlichen psycho-physischen Eigenschaften auf bestimmte soziale Umwelten (Schichten). Hierdurch beeinflusst die Siebung nicht nur die individuellen Biographien, sondern v. a. den sozialen wie biologischen Aufbau der jeweiligen Gesellschaft. Dabei wirken bestimmte soziale Institutionen wie die Familie, aber auch Bildungswege, Heiratsregeln und spezielle Verfahren der Elitenrekrutierung als »soziale Siebe«. Ebenso können soziale Vorurteile und Diskriminierungen (z. B. im Rechtssystem) maßgebliche Faktoren sozialer Siebung sein. Diese erscheint somit als Regelungsfaktor für soziale Mobilität, für die Verteilung von Chancen und für die Elitenbildung und spielt als kulturelle Siebung auch beim Zusammentreffen verschiedener Kulturen eine Rolle, sodass sich nur bestimmte Eigenheiten der einen Kultur in der jeweils anderen durchsetzen können. Unter dem Einfluss strukturfunktionalistischer und systemtheoretischer Vorstellungen hat sich inzwischen ein modifizierter Begriff der Selektion durchgesetzt. Solide abgesicherte Belege für biologische Konsequenzen der sozialen Siebung stehen aus. Einzelne Hypothesen hierzu sind in die theoretische Fundierung der Soziobiologie eingegangen.
R. Thurnwald: Zur Kritik der Gesellschaftsbiologie, in: Archiv für Sozialwiss. u. Sozialpolitik, Bd. 52 (1924).
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Universal-Lexikon. 2012.