Rundfunk.
Da Musik mit etwa 70 % den weit größten Programmanteil stellt, hat der Rundfunk einen immensen Einfluss auf die Entwicklung der populären Musik genommen. Das begann bereits in den frühen Zwanzigerjahren mit dem Ausbau des kommerziell organisierten Rundfunkwesens in den USA. Darin wurde die Musik in ein Funktionselement des Verkaufs der Dienstleistung Werbung umgewandelt, dessen Wirksamkeit zunächst rein quantitativ nach den Einschaltquoten bestimmt war, mit der Einführung des Format Radios in den Vierzigerjahren, der Einschränkung des Programms auf einen bestimmten Musiktyp (Country and Western, Rhythm and Blues usw.), in der Ausfilterung einer möglichst fest umrissenen Zielgruppe bestand. Da die Abspielhäufigkeit eines Titels im Rundfunk eine direkte Auswirkung auf den Plattenverkauf besitzt (Airplay), schlug diese Funktionalisierung der Musik unmittelbar auf die Produktionskonzepte der Plattenfirmen durch und wurde hier zum Produktionskriterium populärer Musik. Gleiches gilt für das in Zusammenhang mit dem Rock 'n' Roll in den Fünfzigerjahren entwickelte Top-Forty-Format, mit dem auf die als Folge wachsender Senderdichte aufgetretene Gewohnheit reagiert wurde, schon nach kurzer Hördauer die Station wieder zu wechseln. Das Musikprogramm setzt sich hier nur noch aus den vierzig als Schallplatte meistverkauften Titeln der Woche zusammen, die mit abgestufter Häufigkeit wiederholt werden (Rotation), um auch bei nur kurzer Hördauer mit möglichst hoher Wahrscheinlichkeit eine Bindung der Aufmerksamkeit des Hörers für die Realisierung des Werbeauftrags zu erzielen. Für die Plattenfirmen bedeutete das die äußerst zugespitzte Alternative, mit ihren Produktionen entweder in dieser Auswahl der Top Forty platziert zu sein, wobei sich dann der Verkauf der Platte durch ständiges Abspiel im Rundfunk noch gewaltig potenzierte, oder aber einen Misserfolg hinnehmen zu müssen; eine Polarisierung, die erhebliche Konsequenzen für die Produktions- und Vertriebspolitik und damit für die Entwicklung der populären Musik hatte. Die Einführung des UKW-Rundfunks (FM Radio) in den Sechzigerjahren führte in den USA zur Herausbildung eines ganz anders gearteten Programmkonzepts als das der Mittelwellen-Stationen (AM Radio). Die klanglichen Möglichkeiten dieser Übertragungsart traten hier als Alternative in den Vordergrund — mit der Konsequenz, dass eine klanglich ausgefeilte und in größeren zeitlichen Dimensionen entfaltete Rockmusik auf der Grundlage der Langspielplatte (LP) bis hin zum Konzept-Album Raum erhielt. Mit dem raschen Bedeutungsverlust des Mittelwellenrundfunks sind solche Ansätze in das auf den UKW-Bereich ausgedehnte Spartenkonzept des Format Radios integriert worden. Von gravierender kultureller Bedeutung war in den Fünfzigerjahren die Einführung der relativ billigen und transportablen Kofferradios, denn diese ermöglichten Jugendlichen einen selbstständigen und ihrem Alter entsprechenden Zugang zu diesem Medium, was zur Bedingung für den Rock 'n' Roll als der ersten jugendspezifischen Musikform geworden ist. Gleiches gilt auch für die in den Sechzigerjahren aufgekommenen nichtkommerziellen College-Stationen in den USA, die nicht zuletzt aufgrund ihrer großen Anzahl hier ein bedeutender Faktor der Musikentwicklung geblieben sind. Bis heute ist jedoch das zielgruppenorientierte Spartenprogramm — mittlerweile erheblich ausdifferenziert — eines der wichtigsten Filter für den Entwicklungsprozess der populären Musikformen. Vor allem in den USA, dem größten Rundfunkmarkt der Welt, sind ausgeklügelte Programmkonzepte mit häufig sehr eng definierten Playlists entwickelt worden, die eine unmittelbare Rückwirkung auf Pop- und Rockmusik besaßen.
Universal-Lexikon. 2012.