Begriffsjurisprudenz,
eine im 19. Jahrhundert entwickelte Methodenlehre, die die Rechtsordnung als lückenloses, in sich geschlossenes System von Rechtssätzen begreift. Ihr liegt die Vorstellung zugrunde, aus den einzelnen Rechtsbegriffen lasse sich im Wege rein logischer Konstruktion ohne Rücksicht auf außerjuristischen Gegebenheiten eine juristische »Begriffspyramide« gewinnen, die dann für jeden denkbaren Rechtsfall die richtige Entscheidung allein durch formallogisch-begriffliches Deduzieren gewährleiste. Rechtsphilosophischer und rechtstheoretischer Ausgangspunkt der Begriffsjurisprudenz ist die formale Freiheits- und Pflichtenethik I. Kants, nach der die Aufgabe des Rechts nicht darin besteht, sittlich zu sein, sondern Sittlichkeit zu ermöglichen. Die Begriffsjurisprudenz führte zu einer rein positivistischen Rechtsauffassung, die gegen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts wegen ihrer starren Art der Rechtsanwendung und der damit verbundenen Ergebnisse erheblichen Widerstand hervorrief (Freirechtsschule, Interessenjurisprudenz). Der systembildende Einfluss der Begriffsjurisprudenz auch auf andere Rechtsdisziplinen (z. B. auf das Staatsrecht, P. Laband) und die europäische Privatrechtswissenschaft insgesamt war beispiellos (Österreich: thun-hohensteinsche Reform des Rechtsstudiums; Schweiz: J. J. Bachofen, J. C. Bluntschli; Großbritannien: J. Austin); deutscher Hauptvertreter der Begriffsjurisprudenz: G. F. Puchta, R. von Jhering, B. Windscheid.
K. Larenz: Methodenlehre der Rechtswiss. (51983).
Universal-Lexikon. 2012.